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Referate der 5. Arbeitstagung, 13. – 15. Februar 2004

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Soziale Konsequenzen der Konversion in der Familie

Nathanja HÜTTENMEISTER

Beschloss ein Jude oder eine Jüdin zum Christentum zu konvertieren, musste es zwangsläufig zu Problemen mit der Familie kommen. Dies galt besonders dann, wenn es sich bei dem Konvertiten um einen verheirateten Mann handelte, der eine Frau und Kinder zurückließ. Die Hauptkonfliktpunkte, um die es immer wieder zu Streit kam, lassen sich mit drei Schlagworten zusammenfassen: Scheidung, Zukunft der Kinder und Geld.

Als Beispiel wurde zunächst die Konversion von Gerson aus Recklinghausen vorgestellt, der sich im Jahr 1600 in Halberstadt auf den Namen Christian evangelisch taufen ließ. Zwar scheint die Familie zunächst bemüht gewesen zu sein, ihn mit seinen neuen Beziehungen als Vermittler für ihre eigenen Interessen zu gewinnen – um so zum Beispiel Schutz in einem anderen Territorium zu erlangen. Doch während seine Frau Bräunchen vielleicht anfangs noch (vergebliche) Hoffnung hatte, einen Scheidebrief von ihrem Gatten auszuhandeln, war der Kampf um den gemeinsamen Sohn von vorneherein aussichtslos. Fünf Jahre lang hielt die Familie ihn versteckt, bis er schließlich mit Hilfe von Gersons ebenfalls taufwilligem Bruder David entführt und getauft wurde. Bräunchen kehrte in das Haus ihres Vaters zurück; eine Wiederheirat blieb ihr ohne Scheidebrief verwehrt.

Ein zweites Beispiel macht deutlich, dass in der jüdischen Gesellschaft die Verhinderung einer Konversion (fast) alle Mittel rechtfertigte. Als Isaak aus Eibelstadt 1589 von den Eltern seiner Magd Köla der Vergewaltigung ihrer Tochter beschuldigt wurde, räumte er in seiner Gegenklage wegen Rufschädigung zwar ein, Sexualkontakte mit dem Mädchen gehabt zu haben. Er rechtfertigte sich jedoch, im Sinne der Eltern gehandelt zu haben, um die von dem Mädchen beabsichtigte Konversion zum Christentum zu verhindern. Ob zwischen Vergewaltigung – das Gerichtsverfahren versackte im Kompetenzgerangel – und Konversionsplan – die Eltern versprachen schließlich dem Konsistorium, den Glaubenswechsel nicht länger zu torpedieren – wirklich ein Zusammenhang bestand, bleibt unklar. In der innerjüdischen Logik wie in der Argumentation vor dem obrigkeitlichen Gericht hatte dieser jedenfalls eine hohe Plausibilität. Gleiches gilt für die den Eltern von Isaak unterstellte Hoffnung, dass die Kirche an der Konversion eines in Schande geratenen Mädchens kein Interesse mehr zeigen würde. Umgekehrt mag Köla aber auch nach erfolgter Vergewaltigung in der Konversion die Möglichkeit zur Flucht aus einem bedrohlichen Milieu und die Chance zur »Wiedergeburt« und damit zur Rettung ihrer Ehre gesehen haben.

In beiden Fällen waren die Familien darum bemüht, alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen, um die Konversion eines Familienmitglieds abzuwenden oder zumindest den entstehenden Schaden weitmöglichst zu begrenzen. Die ergriffenen Maßnahmen – in den hier behandelten Fällen die Mobilisierung der weit verstreut lebenden Familie und weiter jüdischer Kreise ebenso wie die Anrufung obrigkeitlicher Gerichte und möglicherweise die inszenierte Schändung der weiblichen Ehre der Tochter – waren allerdings schlussendlich nicht erfolgreich.

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